Gletscherbericht des Alpenvereins: Letztes Jahr war sehr gletscherungünstig

  • 15. April 2019
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Fotograf: Alpenverein/Benedikter

Fotocredit: Alpenverein/Benedikter

„Das Gletscherhaushaltsjahr 2017/18 ist erneut als sehr gletscherungünstig zu charakterisieren.“ Diese Worte leiten den aktuellen Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins ein und bestätigen eindeutig: Die Gletscherungunst der letzten Jahrzehnte nimmt kein Ende. Bei 93 vom ÖAV-Messteam untersuchten heimischen Gletschern wurden mittels Messungen vor Ort und Fotovergleichen Änderungstendenzen festgestellt: 89 Gletscher zogen sich zurück, lediglich vier blieben stationär. Der mittlere Rückzugsbetrag der 76 vor Ort vermessenen Gletscher betrug seit dem Vorjahr 17,2 Meter. Der größte Längenverlust im aktuellen Haushaltsjahr wurde mit 128,0 Metern bei der Zunge des Viltragenkeeses in der Venedigergruppe (Osttirol) dokumentiert.
 
Das „ewige Eis“ schmilzt. Inwieweit sich heimische Gletscher dadurch verändern, bilanziert seit 128 Jahren der Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins. 24 ehrenamtliche „Gletschermesser“ unter der Leitung von Prof. Gerhard Karl Lieb und Dr. Andreas Kellerer-Pirklbauer vom Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz zeichnen für die Untersuchungen im aktuellen Gletscherhaushaltsjahr 2017/18 verantwortlich.
 
„Insgesamt 19 Berichte für 18 Teilgebiete, die sich auf 12 Gebirgsgruppen verteilen, speisen den aktuellen Sammelbericht“, berichtet Messleiter Gerhard Karl Lieb, der gemeinsam mit Andreas Kellerer-Pirklbauer im Berichtsjahr 2016/2017 die Leitung des Alpenverein-Messdienstes übernommen hat. Neben Längenmessungen wurden auch wiederum Fließgeschwindigkeiten und Höhenänderungen der Gletscheroberfläche am Hintereisferner (Ötztaler Alpen) und auf der Pasterze (Glocknergruppe) erfasst. Weiters werteten die Experten Webcambilder von der Pasterze, dem Dachstein und dem Sonnblick für den Bericht statistisch aus. Alle für diesen Bericht relevanten Messungen wurden zwischen August und Oktober 2018 durchgeführt.
 

Vom Eisriesen zum Eiszwerg

Auch heuer dokumentierten die ÖAV-Fachleute eine Fortführung des seit den 90er Jahren andauernden Gletscherrückganges: Konkrete Messwerte von 76 Gletschern liegen vor, von 17 weiteren konnte aus Fotovergleichen oder Messungen über eine längere (meist zweijährige) Periode die Tendenz eindeutig festgestellt werden. Von diesen 93 Gletschern waren 89 (95,7 %) im Rückzug – vier verhielten sich stationär, d. h. ihre Längenänderung blieb innerhalb der Spanne -1 Meter bis +1 Meter.
 
„Im letzten Berichtsjahr zogen sich gleich drei Gletscher um mehr als 100 Meter zurück – im aktuellen Bericht wurde allein beim Viltragenkees ein Längenverlust von 128,0 Metern gemessen“, betont Lieb. Diesem Negativ-Spitzenreiter folgt mit -86,0 Metern der Alpeinerferner (Stubaier Alpen), das Schlatenkees (Venedigergruppe) mit -67,0 Metern und das Untersulzbachkees (Ve-nedigergruppe) mit -53,0 Metern. Nicht messbar war die Längenveränderung am Pfaffenferner (Stubaier Alpen) – hier gehen die Fachleute jedoch von einem Wert aus, der wahrscheinlich noch höher ist als der am Viltragenkees.

Der Schein trügt?!

Die überdurchschnittlich warme Witterung mit langanhaltenden Schönwetterperioden bewirkte, dass tiefliegende Gletscherzungen bereits im Mai auszuapern begannen. Der Gletscherschwund erscheint gegenüber dem Vorjahr jedoch gedämpft, da die im niederschlagsreichen Winter aufgebauten Schneereserven bis weit in den extrem warmen Sommer hinein große Teile der Gletscher vor der Abschmelzung schützten. Betrug der mittlere Rückzugsbetrag des Vorjahres noch -25,2 Meter (berechnet auf der Basis von 75 Gletschern), dokumentiert der aktuelle Bericht einen deutlich geringeren Rückzugsbetrag von 17,2 Metern (berechnet auf der Basis von 76 vor Ort vermessenen Gletschern), 3 Meter über dem Wert von 2015/16 (-14,2 m).
 
Blieb in der Messperiode 2016/2017 lediglich ein Gletscher stationär, zogen sich aktuell vier Gletscher nicht zurück. Wie schon im Vorjahr blieb das Simonykees (Venedigergruppe) stationär, weiters das Sonnblickkees (Granatspitzgruppe) sowie die Gletscher am Roten Knopf (Schobergruppe) und im Eiskar (Karnische Alpen). Prof. Gerhard Karl Lieb stellt jedoch klar, dass dieses Verhalten bei keinem der vier Gletscher ein Hinweis auf eine Trendwende sei.
„Unsere Untersuchungen bestätigen einen anhaltenden Gletscherschwund – dieser fiel im Haushaltsjahr 2017/18 erneut massiv aus“, betont Gerhard Karl Lieb. „Der Rückzug der Gletscher erscheint nur in Bezug zu den extremen Werten im letzten Berichtsjahr etwas gedämpft.“

Relevanz des Gletscherberichtes

Die Daten des Alpenvereins, die Fachleute des ÖAV-Messdienstes jährlich dokumentieren, werden heutzutage von der Klimaforschung international genutzt und längst in allen relevanten Datennetzwerken berücksichtigt. „Bereits seit 128 Jahren untersucht der Alpenverein die Bewegungen der heimischen Eisriesen und leistet somit nicht nur für die Gesellschaft einen wertvollen Beitrag, sondern besonders auch für die Wissenschaft. Beispielsweise klimatische Veränderungen können mit diesen Daten besser verstanden werden“, freut sich Dr. Ingrid Hayek, Vizepräsidentin des Österreichischen Alpenvereins, zuständig u.a. für den jährlichen Gletscherbericht. Die Sammelberichte des Alpenvereins gelten heute noch im internationalen Vergleich als eine der am besten dokumentierten nationalen Gletscher-Messberichte überhaupt.
 
„Besonderer Dank gilt natürlich allen, die im Dienste des Gletscherberichtes tätig sind. Alle Gletschermesser arbeiten ehrenamtlich, jedoch keinesfalls umsonst“, betont Hayek. Großer Dank gilt laut Hayek auch Gletschermesser Gernot Patzelt, der 56 Jahre als Gletschermesser tätig war, viele Jahre auch den Gletschermessdienst geleitet und sich heuer in den wohlverdienten „Mess-Ruhestand“ verabschiedet hat.

Tags: innsbruck

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